Eine Familie im Widerstand – Vier Stolpersteine erinnern an die Familie Adler / Mannaberg

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Gabriela Gebhardt, Michael Morsbach und Stadträtin Janine Wolter (mi,. v. li.) wohnen dem ehrenden Gedenken bei

Rund 100 Menschen nahmen am 22. Mai an einer bewegenden Stolpersteinverlegung für die Familie Adler/ Mannaberg teil. Neben unserer Stadträtin für Bildung, Kultur und Sport, Janine Wolter, kamen unter anderem der Kulturattaché der dänischen Botschaft, Mathias Sonne sowie unsere stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gabriela Gebhardt und Fraktionär Michael Morsbach. Auch nahmen der Leiter des Museums Neukölln, Dr. Matthias Henkel, sowie Schülerinnen und Schüler des Campus Rütli und der Heinrich-Mann-Schule in Buckow teil. Die Patenschaft für die Stolpersteine hatten Thomas Kasper und seine Tochter Jukunda übernommen, sie recherchierten rund zehn Jahre zur Geschichte der Familie Adler/ Mannaberg.

„Meine Tochter hat eine kleine Familie gegründet. Sie ist jetzt hier, mit ihrem Sohn, dem kleinen Janne. Janne ist im März zur Welt gekommen. Meine Tochter ist 29 Jahre alt. 29 Jahre – genau so alt war Hans Georg Mannaberg, als sein Leben endete. Diese Altersgleichheit bedrückt mich sehr. Anstatt die Chance auf Leben und Familie zu haben, wurde Hans Mannaberg ausgegrenzt, verfolgt und schließlich ermordet“, sagt Kasper zu Beginn seiner Rede mit Blick auf seine Tochter Jukunda, die ihr Baby im Arm wiegt.

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Kulturattaché Sonne, Thomas Kasper, Jukunda Kasper und Stadträtin Janine Wolter (v.li.)

Dann schildert er, wie sie auf die Idee kamen, zur Familie Adler/ Mannaberg zu forschen. Anlass war ein Bild von Gisela Mannaberg, das Thomas Kasper in den Fotokisten seiner Mutter fand. „Es fiel mir auf, weil ich die Frau nicht zuordnen konnte. Sie trägt auf dem Bild einen Morgenmantel meiner Großmutter, gehörte aber nicht zur Familie“, erzählt er. Er habe seine Mutter nach der Frau gefragt. Sie habe geantwortet, dass sie eine jüdische Freundin ihrer Eltern gewesen sei, die sie zur Flucht über Holland nach Skandinavien verholfen hatten. Kaspers Großeltern Elise und Otto Mäder waren im Widerstand gegen das NS-Regime aktiv und an vielen Aktionen beteiligt. Im Widerstand gegen das Naziregime waren auch die Mitglieder der Familie Adler. Der jüdische Schriftsteller und Buchdrucker Joseph Adler war ein bedeutender Vertreter des deutschen Expressionismus und veröffentlichte zahlreiche Beiträge in der Zeitschrift „Der Sturm. Monatsschrift für Kultur und die Künste“. 1937 wurde er von einem SA-Trupp brutal misshandelt und erlag 1939 den Spätfolgen dieses Angriffs. Er war einer der produktivsten Autoren der expressionistischen Zeitschrift „Der Sturm“, in der Autoren und Künstler wie Alfred Döblin, Else Lasker-Schüler, Oskar Kokoschka, Heinrich Mann und viele andere veröffentlichten – ein Intellektueller. Joseph Adler war vollständig in Vergessenheit geraten, bis der Bibliothekar Dr. Volker Pirsich, der zur Zeitschrift „Der Sturm“ forschte, begann, dessen Biografie zu schreiben. Pirsich fand auch heraus, dass die Kinder Georg und Gisela Mannaberg aus ihrer ersten Ehe mit Bruno Mannaberg stammten, er starb am 18. Januar 1917.

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Gisela Mannaberg

Anna Lotte Adler überlebte den Nationalsozialismus. Sie war jedoch schwerwiegenden Repressionen ausgesetzt – sowohl aufgrund ihrer jüdischen Ehe als auch wegen ihrer Mitgliedschaft in der KPD. Sie engagierte sich aktiv im Widerstand gegen das NS-Regime, So verteilte sie Flugblätter. 1942 wurde sie verhaftet, da sie – wie ihr Sohn – verdächtigt wurde, an dem Brandanschlag auf die nationalsozialistische Propaganda-Ausstellung „Das Sowjetparadies“ beteiligt gewesen zu sein. Mangels Beweisen wurde sie schließlich wieder freigelassen.

Hans Georg Mannaberg nahm im Widerstand den Namen Hans Adler an, wohl weil der Name Adler nicht jüdisch klang. Er war 20 Jahre alt, als die Nazis an die Macht kamen. Innerhalb von neun Jahren wurde wurde er dreimal verhaftet, was zeigt, dass sein Wille zum Widerstand ungebrochen war. Er kam ins KZ, es gab Hausdurchsuchungen und sein Stiefvater wurde ermordet. Doch Hans Georg Mannaberg machte weiter, arbeitete in verschiedenen Widerstandsgruppen, gehörte unter anderem dem Kreis der Frauen und Männer um Werner Steinbrück aus Britz an und kooperierte mit der größten jüdischen Widerstandsgruppe im Deutschen Reich, der Herbert-Baum-Gruppe. Nach dem Brandanschlag auf die antisowjetische Propagandaausstellung „Das Sowjetparadies“ im Berliner Lustgarten wurden er und die meisten Mitglieder der Steinbrück- und Baum-Gruppe verhaftet, abgeurteilt und hingerichtet.

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Gabriela Gebhardt legt Rosen nieder

Seine Schwester Gisela Mannaberg war es, die die zwei größten Widerstandsgruppen, die es Ende der 30er-Jahre in Berlin gab, zusammenbrachte: das Widerstandsnetz der Uhrig-Gruppe und die Herbert-Baum-Gruppe. Die Uhrig-Gruppe bestand aus bis zu 20 betrieblichen Gruppen, meist aus Rüstungsbetrieben, die Fremdarbeiter schützten, Sabotage betrieben und sogar Streiks organisierten. Geleitet wurde diese Widerstandsgruppe von Robert Uhrig. Der Herbert-Baum-Gruppe gehörten überwiegend junge jüdische Berliner an. Sie gingen oft sehr forsch vor und konnten die Machthaber täuschen, indem sie die Repressalien einfach umgingen, berichtet Thomas Kasper. So trugen sie häufig nicht den gelben Stern. Stattdessen besorgten sie sich Ausweise französischer Fremdarbeiter – diese konnten sich nämlich frei in Berlin bewegen.

Die Flucht von Gisela Mannaberg nach Dänemark gelang. Sie überlebte und gründete nördlich von Kopenhagen eine eigene Familie, wo sie bis 2008 lebte. Sie heiratete den Dänen Vagn Rud Christensen und lebte mit ihm bis 2008 in Lyngby bei Kopenhagen, berichtete der dänische Kulturattaché Mathias Sonne. Er gedachte der „stillen Helden, die sich in Deutschland und Dänemark für Juden und andere Verfolgte einsetzten und Leben retteten. Auch in Dänemark wurden viele Tausend Jüdinnen und Juden vor der Verfolgung durch die Nazideutschen im Oktober 1943 – nach dem August-Aufstand und dem Zusammenbruch der dänischen Zusammenarbeitspolitik – nach Schweden transportiert und dadurch gerettet. „Und in den letzten wirren, tragischen, ja fast verrückt selbstmörderischen Monaten des Zweiten Weltkriegs wurden zigtausende skandinavische Juden aus deutschen Konzentrationslagern in der Aktion der ‚Weißen Busse‘ gerettet“, so Sonne. Schließlich hätten diese stillen Helden bewiesen „dass man auch in der dunkelsten Stunde menschlich handeln kann“, betonte der Kulturattaché. „Was würde ich tun, wenn es in meinem Land Ausgrenzung, Krieg, Hunger und Vertreibung gäbe? Diese menschliche, ja vielleicht menschlichste Frage dürfen wir nie vergessen“, sagte Sonne zum Schluss seiner Rede. 

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Hans Georg Mannaberg

„Mein Dank gilt den Stolpersteinpaten Thomas Kasper und seiner Tochter Jukunda. Angesichts des zunehmenden Antisemitismus und Rassismus auch hierzulande ist es wichtig, an den Mut der Widerstandskämpfer*innen in der NS-Zeit zu erinnern. Noch haben wir die Chance, uns mit wenig Risiko den zum Teil terroristischen Angriffen von rechts mit den Mitteln der Demokratie und des Rechtsstaates entgegenzustellen und die Rechtsextremen daran zu hindern, an die Macht zu kommen. Diese Chance können all jene ergreifen, die die gelebten Werte der Demokratie schätzen und um die zerstörerische Kraft einer von Hass, Ausgrenzung und Rassismus geprägten Ideologie wissen“, meint unsere stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gebhardt.

Es liege in unserer Verantwortung, gegen Ausgrenzung und Diskrimierung aktiv anzukämpfen. „Wir müssen offen und respektvoll miteinander umgehen, damit wir eine Gesellschaft schaffen, in der jeder Mensch unabhängig von Herkunft, Hautfarbe oder Glauben gleiche Rechte hat“, sagte Ahmed, Schüler der Rütli Schule, die einst auch Gisela Mannaberg besuchte.  

Unser Stadträtin Wolter dankte vor Ort den Initiatoren der Stolpersteinverlegung für ihr Engagement und den Besuchern für ihr Kommen. Sie betonte in ihrer Rede, dass es angesichts der derzeitigen gesellschaftlichen Entwicklungen wichtig sei, solche Momente gemeinsam zu gestalten. Es gelte, Dinge, die uns auseinandertreiben, sowie Gewalt und Hass fördern, nicht zuzulassen. Wichtig sei, „das im Herzen weiterzutragen, was uns als Gesellschaft eint: „Um es mit Margot Friedländer zu sagen: Seid Menschen.“

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