Bis zum 01. Juni 2025 ist die Sonderausstellung „Die ganze Zeit“ auf Schloss Britz zu sehen, die am 14. März mit einer Vernissage eröffnet wurde, an der unsere Fraktionsvorsitzende Cordula Klein und unser Bezirksverordneter Wolfgang Hecht zusammen mit unserer Stadträtin für Bildung, Kultur und Sport, Janine Wolter und unserem Bezirksbürgermeister Martin Hikel teilnahmen.

Die Ausstellung „Die ganze Zeit“ verdeutlicht, wie die in der Gründerzeit etablierte Zeitkultur bis in unsere Gegenwart wirkt. Schließlich erlebte die Gesellschaft in der Gründerzeit des 19. Jahrhunderts einen tiefgreifenden Wandel, geprägt von industrieller Revolution, technologischem Fortschritt und sozialem Umbruch – der Zeitbegriff erlangte eine neue Dimension und wurde zu einem entscheidenden Faktor in der Gestaltung menschlicher Ressourcen. Diejenigen, die die Zeit kontrollierten, erlangten nicht nur die Macht über Produktionsprozesse, sondern auch über das Leben der Menschen. Die Ausstellung stellt nun historische Zeugnisse und künstlerische Interventionen gegenüber. So entsteht ein differenzierter Blick auf die Zeitlichkeit unserer Gegenwart – und damit auch auf mögliche Zukünfte.
Während wir heute die fünf repräsentativen Räume der Dauerausstellung auf Schloss Britz als Idylle erleben, als Ort, der zum Verweilen und zur Muße einlädt, übersehen wir leicht, das diese Idylle trügerisch ist. Die Dauerausstellung zeigt das typische Interieur einer großbürgerlichen Familie wie der des Zuckerproduzenten, Spritfabrikanten und Bankiers, Julius Wrede, der im Jahr 1865 Schloss und Gutshof Britz erwarb. Er lebte in einer Zeit, die geprägt war von industrieller Revolution, technologischem Fortschritt und sozialem Umbruch. Die Gründung von Aktiengesellschaften boomte, die Städte wuchsen und waren auch in Neukölln zunehmend vom Bild hektischer Betreibsamkeit auf den Straßen und der Mietskasernen geprägt. In dieser Ära gewann schließlich der Zeitbegriff eine neue Dimension und wurde zu einem entscheidenden Faktor in der Gestaltung menschlicher Ressourcen. Diejenigen, die die Zeit kontrollierten, erlangten nicht nur die Macht über Produktionsprozesse, sondern auch über das Alltagsleben der Menschen. Diese Verbindung zwischen Zeit und Macht manifestierte sich in der Art und Weise, wie Arbeitszeit, Effizienz und Disziplin in den aufstrebenden Industriegesellschaften definiert und verwaltet wurden. Was bis heute als Tugend proklamiert wird, war in Wirklichkeit ein Zwang: Preußische Pünktlichkeit. Arbeiterkontrollapparate halten Einzug in die Fabriken und überwachen die Arbeitszeit.
Dass die Idylle auf Schloss Britz trügerisch ist, und nur eine Seite der Medaille zeigt, verdeutlichen die Ausstellungsmacherinnen Anna Borgman und Sophia Pompéry, indem sie Exponate der Sonderausstellung in die Dauerausstellung platzieren. Damit wird der Blick der Besucher der Dauerausstellung geschärft. So steht in einem Raum die Installation Condizio I-II der Künstlerin Francis Zeischegg. Die Besucher sehen modern konstruierte Schaukelpferde, die mit Fadenkreuzen bestückt sind. „Durch die Verschränkung von kindlichem Spielzeug und militärischem Visier wird die subtile Durchdringung des Alltags durch Überwachungstechnologien deutlich“, heißt es im Begleitheft zur Ausstellung. Aber bereits Ingo Gerkens Weltzeituhr, auf die die Besucher sichtbar am Eingang des Schlosses stoßen, stellt unsere Zeitvorstellungen in Frage – die uns bis heute prägende lineare Zeit wird während ihres Laufs gebrochen. So lädt die Ausstellung ein zu einer kritischen Reflexion darüber, wer heute die Macht über unsere Zeit ausübt und welche Alternativen denkbar wären.
Nicht erst seit heute gibt es Debatten um Arbeitszeit. Kämpfte die frühe Arbeiterbewegung Mitte des 19. Jahrhunderts für eine Reduktion der Arbeitszeit von Kindern, wurde der Kampf um die Arbeitszeit von der SPD in den 90er Jahren des 19. Jahrhunderts für die sofortige Einführung des Achtstundentags geführt. Auch gegenwärtig, in Zeiten beschleunigter Globalisierung, führen wir Debatten um Arbeitszeit und (unbezahlte) Care-Arbeit und um Work-Life Balance, ein harmonisches Gleichgewicht aus Berufs- und Privatleben. Die Ausstellung auf Schloss Britz zeigt auf, dass unser Zeitverständnis historisch gewachsen ist und lädt zu einer kritischen Reflexion darüber ein, wer heute die Macht über unsere Zeit ausübt und welche alternative Zeitkultur jenseits von machtgesteuerter Zeitdisziplin denkbar wäre.
„Die Weltzeituhr von Ingo Gerkens und Manaf Halbounis Idee mit den unterschiedlichen Radios, die Nationalhymnen von Staaten des 20. Jahrhunderts spielen, die verschwunden sind, haben mich besonders beeindruckt. Es ist eine spannende und schöne Ausstellung geworden. Von daher hoffe ich, dass sich viele Menschen auf den Weg nach Britz machen, um diese bemerkenswerte Ausstellung zu sehen. Schließlich ist das Schloss Britz immer einen Besuch wert“, meint unsere Fraktionsvorsitzende Klein.