10 Punkte für eine bessere Schul- und Integrationspolitik

Der Hilferuf der Rütli-Oberschule hat eine Debatte über die deutschen Hauptschulen ausgelöst. Das bundesweite Interesse der Medien an diesem Thema zeigt, dass es sich nicht um einen lokalen Einzelfall handelt. Ob Neukölln, Wedding, Kreuzberg, Darmstadt, Essen, Frankfurt oder Saarbrücken – in sozialen Brennpunkten ähneln sich die Probleme.

Aus Gesprächen mit Lehrern, Eltern und Schulleitern kenne ich die Probleme an den Neuköllner Schulen – meist tauchen sie in Gegenden mit hoher Arbeitslosigkeit, niedrigem Bildungsniveau und hohem Migrantenanteil auf. Seit Jahren kämpfen wir deshalb in Bezirk, Land und Bund für eine bessere Bildungs- und Integrationspolitik.

Deshalb brauchen wir jetzt keinen Aktionismus, sondern müssen uns überlegen, wie alle Beteiligten gegen diese Missstände vorgehen können – Eltern, Lehrer, Ämter und Politik gemeinsam.

Die folgenden zehn Thesen sollen bei dieser Überlegung helfen.

1. Wir können unsere Kinder nicht wegschicken oder ausweisen!

Edmund Stoiber (CSU) und Friedbert Pflüger (CDU) fordern Kinder nicht einzuschulen, solange sie kein deutsch sprechen. Doch Kinder, die weder deutsch noch eine andere Sprache sprechen, wurden in der Regel von ihren Eltern vernachlässigt. Also wo, wenn nicht in den Schulen, soll diesen Kindern eine Perspektive gegeben werden? Wer derartige Forderungen stellt, lenkt von seinem eigenen Versagen ab und tut, als wäre Integration eine Bringschuld von Fünfjährigen. Herr Stoiber empfahl sogar die Abschiebung auffälliger Kinder. Er vergisst dabei, dass viele dieser Kinder deutsche sind oder zumindest hier geboren wurden. Nein, unsere Probleme lassen sich nicht ausweisen.

2. Unsere Probleme lassen sich nicht allein durch eine bessere finanzielle Ausstattung lösen!

Allein mehr Geld reicht nicht aus. Die Ausstattung Berliner Hauptschulen ist gut. Das Verhältnis von Lehrern zu Schülern an Hauptschulen beträgt bundesweit 1:14, in Berlin 1: 9 und an der Rütli-Schule 1:7. Der Ruf nach mehr Lehrern oder Geld reicht nicht aus. Wenn wir das begreifen, werden wir wirksame Lösungen finden.

3. Bildung muss früher vermittelt werden!

Immer mehr Kinder werden eingeschult, die weder sprechen noch rückwärts laufen können und noch nie einen Stift oder eine Schere in der Hand hielten. Umso wichtiger ist es, dass die SPD damit begonnen hat, Kindertagesstätten zu Bildungseinrichtungen umzubauen. Bereits 90 Prozent aller Kinder werden in vorschulischen Einrichtungen betreut. Ab nächstem Jahr ist das letzte Kitajahr kostenlos, so dass hoffentlich alle Kinder vorschulisch unterrichtet werden. Notfalls muss der Kitabesuch für Kinder mit Sprach- oder Verhaltensproblemen verpflichtend werden.

4. Wir brauchen flächendeckend Ganztagsschulen!

Ganztagsschulen garantieren eine bessere Betreuung und Förderung von Kindern. Deshalb haben wir gezielt in Brennpunktbezirken Ganztagsschulen geschaffen. Über 30 der 39 Neuköllner Grundschulen sind Ganztagsschulen. Nur zur Erinnerung: Als die CDU von 1985-89 und von 1991-95 den Bildungssenator stellte, wurde nicht eine neue Ganztagsschule in Berlin eingerichtet. Zumindest in Brennpunktbezirken sollten alle Kinder ganztags betreut werden.

5. Sprachkurse für Kinder müssen ausgeweitet!

Seit vergangenem Jahr werden alle Kinder vor der Einschulung auf ihre Sprachfähigkeit getestet. Sprechen sie schlecht, erhalten sie 330 Stunden verpflichtender Sprachunterricht. In Neukölln betrifft dies jedes zweite Kind. Der Sprachtest sollte jedoch bereits im Alter von vier, nicht erst mit fünf, durchgeführt werden. Damit bliebe mehr Zeit für die Förderung.

6. Eltern müssen in die Pflicht genommen werden!

Ohne die Hilfe der Eltern kann das staatliche Bildungsangebot noch so gut sein, die Kinder werden nur schwer lernen. Wenn Kinder nicht sprechen können, ist dies meist auf die Vernachlässigung im Elternhaus zurück zu führen. Deshalb sollten Eltern, die ihre Pflichten bei der Erziehung nicht wahrnehmen, zu Sprach- und Elternkursen verpflichtet werden. An der Lichterfelder Nikolaus-August-Otto-Schule müssen Eltern bereits einen Kurs besuchen, damit ihr Kind aufgenommen wird. Die Resonanz ist groß.

7. Lehrer müssen mehr gelobt, aber auch in die Pflicht genommen werden!

Es gibt viele engagierte Lehrer, die über den Pflichtunterricht hinaus Projekte, Unterricht und Kurse der unterschiedlichsten Art anbieten. Vor allem Lehrer, die sich täglich dem Alltag an Problemschulen stellen, verdienen mehr Wertschätzung.
Andere Lehrer sind nicht auf das reale Schulleben vorbereitet. Ihnen muss bereits im Studium beigebracht werden, wie sie die Schülerinnen und Schüler über den Pflichtunterricht hinaus erreichen können. Frontalunterricht ist nicht mehr zeitgemäß.

8. Konsequent gegen Störer vorgehen!

Lehrerinnen von der Rütli-Schule sagten mir, 75 Prozent der Schüler wollen arbeiten – werden aber von den anderen gestört. Gegen diese Störer muss konsequent vorgegangen werden. Geeignete Konzepte müssen mit Lehrern und Eltern ausgearbeitet werden.

9. Konsequent gegen Rassismus vorgehen!

Rassismus und Faschismus müssen mit aller härte bekämpft werden. In vielen Schulen werden Worte wie Schweinefleischfresser oder Christ als Schimpfworte gebraucht. Gewalt gegen Migranten darf ebenso wenig geduldet werden, wie Gewalt gegen Deutsche.

10. Kinder und Jugendliche brauchen Perspektiven!

Das wichtigste ist, das wir – Gesellschaft, Lehrer, Eltern, Ämter und Politik – den Jugendlichen Hoffnung geben. Wer keine Chance auf eine Ausbildung oder einen Arbeitsplatz hat, wird sich auch in der Schule nicht anstrengen. Leistung kann nur einfordern, wer Perspektive geben kann.