Zwei Neue Stolpersteine in Britz verlegt

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Am 12. Juli 2024 wurden vor ihrem ehemaligen Wohnort in der Buschkrugallee 246, Stolpersteine für die Anarchisten und Anarchosyndikalisten Rudolf Rocker und Milly Witkop verlegt. Dies geschah „vor dem Hintergrund ihres Kampfes gegen Rassismus, Antisemitismus und Nationalismus und für eine freiheitliche Gesellschaft, in der die Würde des Menschen zum obersten Gebot erhoben ist“, heißt es in einer Gedenkschrift der Initiative „Hufeisern gegen Rechts“.

An der Stolpersteinverlegung nahmen rund 30 Menschen teil, auch unsere stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gabriela Gebhardt und unser Bezirksverordneter Wolfgang Hecht nahmen teil. Milly Witkop (1877–1955) wurde in der ukrainischen Stadt Slotopol geboren. Wegen jahrelang andauernder antisemitischer Ausschreitungen nach dem tödlichen Attentat auf Zar Alexander II., emigriert Witkop 1894 nach London, wo sie ihren Lebensgefährten Rudolf Rocker kennenlernt. Er entstammt einer katholischen Handwerkerfamilie, lernt Buchbinder, ist Wanderhandwerker, zieht durch Europa und kommt 1892 nach London, wo er in einer jüdischen Gemeinde lebt und auf Milly Witkop trifft. Anfang 1919, während in Berlin der Kampf um die Fortführung der Revolution auf den Straßen ausgefochten wird, kommen Witkop und Rocker nach Berlin, „um an den Kämpfen für den Aufbau einer freiheitlichen menschlichen Gemeinschaft teilzunehmen, die auf der Selbstermächtigung der Unterdrückten und Erniedrigten beruhen sollte“, so Jürgen Schulte, Sprecher der Initiative „Hufeisern gegen Rechts“ in seiner Gedenkrede zur Stolpersteinverlegung.

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Gabriela Gebhardt, stellvertretende Vorsitzende der SPD-Fraktion und Wolfgang Hecht beim Gedenken in Britz

In Berlin wohnen Witkop und Rocker sie zunächst in der Kirchhofstraße 8 in Neukölln, ziehen 1927 nach Steglitz und kehren zu Beginn des Jahres 1932 nach Neukölln zurück. Während ihrer Neuköllner Zeit erleben sie den Aufstieg und Niedergang der anarchosyndikalistischen Bewegung in Deutschland. Als Milly Witkop und ihr Lebens- und Kampfgefährte Rudolf Rocker Anfang 1932 in das Haus Buschkrugallee 246 einziehen, blicken beide bereits auf eine lange Geschichte von Kämpfen der anarchosyndikalistischen Gewerkschaften in England und hier auf jene der jüdischen Zusammenschlüsse, in denen sie aktiv waren. In London gaben beide die jiddischen Zeitschriften „Arbeiter Fraynd“ und „Germinal“ heraus. Witkop wurde allerdings 1916 zu zwei Jahren Haft verurteilt, weil sie als Antimilitaristin gegen Englands Teilnahme am Ersten Weltkrieg agitiert. Als Anarchofeminista entwickelt sie mit weiteren Frauen 1921 den syndikalistischen Frauenbund, der Teil der „Freien Arbeiter-Union Deutschlands“ (FAUD) ist. Witkop ist der Ansicht, dass die proletarische Frau vom Kapitalismus und von ihren männlichen Lebensgefährten ausgebeutet wird. Sie regt daher an, dass Frauen aktiv für ihre Rechte eintreten sollten. Die Frauen fordern die Verkürzung der Arbeitszeit für Frauen und Männern zur Entlastung der Frauenarbeit in der Familie, Sexualaufklärung, ungehinderten Zugang zu Verhütungsmitteln, die Abschaffung des Paragraphen 218 sowie als Kampfmittel Gebärstreiks. Schließlich sollen Frauen über ihre Körper selbst bestimmen. Parallel zu ihren syndikalistisch-frauenrechtlichen Aktivitäten bekämpft Witkop gemeinsam mit ihrem Lebensgefährten Rocker den grassierenden Rassismus und Antisemitismus. Verbunden mit der jüdischen Arbeiterbewegung treten beide vehement judenfeindlichen Äußerungen entgegen.

Die Verfolgung und Ermordung des europäischen Judentums vor Augen, ändern Rocker und Witkop ihre Haltung zur Legitimierung von Kriegshandlungen. Sie geben den kategorischen Pazifismus und ihre grundsätzliche Antikriegshaltung auf, nehmen nach 1939 eine Pro-Alliierten-Haltung ein und stellen sich auf die Seite des bewaffneten Antifaschismus. Während ihrer Neuköllner Zeit erleben sie den Aufstieg und Niedergang der anarchosyndikalistischen Bewegung in Deutschland. Mit dem Erstarken der Nationalsozialismus verlassen Witkop und Rocker nach dem Reichstagsbrand 1933 ihre Wohnung in Britz, in die sie ein Jahr zuvor eingezogen waren. Anders als ihr Freund, der jüdische Dichter und Anarchist Erich Mühsam, der in der Nacht des Reichstagsbrand von den Nazis verhaftet und am 10. Juli 1934 im KZ  Oranienburg ermordet wurde, gelingt ihnen die Flucht ins Ausland. Nach Aufenthalten in der Schweiz, Südfrankreich, Paris und London, emigrieren sie im Sommer 1933 in die USA. Dort finden sie in der 1937 in der anarchistisch ausgerichteten Mohegan-Kommune am Ufer des Lake Mohegan in Crompond ein neues Zuhause. Während des spanischen Bürgerkrieges organisiert Witkop in den USA eine Unterstützungskampagne für den Aufbau der anarchafeministischen Bewegung Mujeres Libres in Spanien. Zudem setzen beide ihren Einsatz für die Befreiung politischer Gefangene fort. So etwa für die in der UdSSR internierte Zenzl Mühsam, Erich Mühsams Frau, die 1936 verhaftet wird wegen angeblicher „konterrevolutionären trotzkistischer Tätigkeit und 20 Jahre in Arbeitslagern interniert ist. Wohl weil Erich Mühsam dem kommunistischen System in Russland sehr kritisch gegenüberstand, ähnlich wie Rocker blickten sie wach auf Moskau und verurteilten es, dass kritische Stimmen, auch aus den eigenen Reihen, im kommunistischen Russland im Keim erstickt und die Menschen schon früh in Gefängnisse und Arbeitslager gesperrt wurden. Für unsere stellvertretende Fraktionsvorsitzende Gebhardt ist eines klar: „Es gilt gerade auch heute die Erinnerung an die Verfolgten und Opfer des Naziregimes wachzuhalten, dafür bin ich der Initiative ´Hufeisern gegen Rechts` dankbar“