„Brennpunkte Rudower Geschichte. Von der NS-Zeit bis heute“ – Eine Fahrradtour

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SPD-Fraktionsvize Peter Scharmberg (v.re.) lauscht den Ausführungen.

Ein Fahrradkorso der besonderen Art bewegte sich am 25. Juni mit mehr als 40 Teilnehmer*innen durch Rudow. Unter ihnen unser stellvertretender Fraktionsvorsitzender Peter Scharmberg. Veranstalter der historischen Fahrradtour, die unter dem Titel „Brennpunkte Rudower Geschichte. Von der NS-Zeit bis heute“ lief, war die Initiative „Rudow empört sich. Gemeinsam für Respekt und Vielfalt“.  Stationen der Tour waren die Rudower Spinne, die Evangelische Kirche, in der Köpenicker Straße, die Matthias-Claudius-Schule, das ehem. Eternit-Zwangsarbeiterlager in der Kanal-, Ecke Köpenicker Straße 181. Weitere Haltepunkte waren am ehemaligen Haus der Familie Lewin in der Straße 181, Haus 82, der ehemalige Bahnhof Rudow sowie die Straße Alt-Rudow.

Die Rudower Spinne war für viel Jahre ein beliebter Nazitreffpunkt, an dem diese Leute anpöbelten und auch angriffen. Es gab aber auch Widerstand gegen diesen Misstand, besonders gegen Naziaufmärsche, gegen die sich ein breites zivilgesellschaftliches Bündnis stellte. Orte der Opfer von Nazibrandanschlägen wurden bewusst nicht angefahren. Zu den Opfern dieser Anschläge in Rudow gehörten unter anderen  Menschen mit Migrationshintergrund, Sozialdemokraten, Gewerkschafter, Kirchenvertreter und Unternehmer. Bis heute sind bis auf den Brandanschlag auf ein Haus, alle weiteren Anschläge ungesühnt geblieben.

Widerstand gegen die Nazis in der Zeit von 1933-1945 leisteten unter anderem der Pfarrer Paul Zorn und die Gemeindeschwester Margarete Stirnatis. Sie hatten in der Nazizeit mit ihrem christlich-sozialen Engagement gegen das braune Gedankengut zu wirken versucht, waren aber von den sogenannten Deutschen Christen, die mit den Nazis sympathisierten, aus der Gemeinde herausgemobbt worden.

Pfarrer August Froehlich, der unter anderem in der Katholischen Gemeinde in St. Joseph in Alt-Rudow wirkte, ließ sich nicht von den Nazis gleichschalten, weigerte sich, für sie Kollekten durchzuführen und protestierte mehrfach gegen die Misshandlung polnischer Zwangsarbeiterinnen. Nach so genannter Schutzhaft wurde er ins KZ Buchenwald interniert. Später, im KZ Dachau starb er am 22. Juni 1942, angeblich an „Versagen von Herz und Kreislauf bei Darmkatarrh“.  

In Rudow wirkten auch Mitglieder der Widerstandsgruppe „Rote Kapelle“. Sie war eine der bedeutendsten aktiven Widerstandsorganisationen gegen das Naziregime. In Rudow wurde das Informationsblatt „Die Innere Front“, eine illegale Schrift, ab 1941 herausgegeben. Hergestellt wurde sie in Laube von Max Grabowski in der Groß-Ziethener Straße / Ecke Geflügelsteig, offiziell ein Geschäft, das mit Farben, Lacken und Tapeten handelte und von Trude Grabowski geleitet wurde. Ihr Ehemann, der Neuköllner Kommunist Max Grabowski, erledigte Malerarbeiten, betätigte sich aber auch als Kunstmaler. Der SPD-nahe Reichsbannermann Walter Bremer lernte über einen Kollegen seiner Frau Max Grabowski und dessen Bruder Otto kennen. Sie kamen sich politisch näher. Bald stieß ein weiterer Neuköllner Kommunist, Willi Seeger, zu ihnen. Die Rote Kapelle flog 1942 auf. Viele ihrer KämpferInnen wurden hingerichtet, darunter auch viele Frauen, wie Mildred Harnack und Libertas Schulze-Boysen. Die Rudower Mitglieder überlebten, weil sie von ihren Mitkämpfern nicht verraten wurden. Ihr Kontaktmann John Sieg entzog sich der Folter durch Selbsttötung.

Ein weiteres bitteres Kapitel in der Geschichte der Nazizeit waren Zwangsarbeiterlager. Allein in Berlin sollen in 3000 über die ganze Stadt verteilten Lagern, in den Jahren 1942 bis 1945 rund 300.000 Menschen interniert gewesen sein, die Zwangsarbeit verrichten mussten. Die Fahrradtour führte an den Ort, an dem einst drei von geschätzten 20 Zwangsarbeiterlagern in Rudow standen: Die Kanalstraße an den Hausnummern 117-155 war die die Adresse der Firma Eternit. 1941 wurden dort drei Zwangsarbeiterlager errichtet, wo so genannte Ostarbeiter interniert waren. Ende 1943 bestand die Belegschaft von Eternit aus 563 Personen, davon waren 263 „Ostarbeiter“, unter ihnen 297 Frauen, die schwerste Arbeit unter Hunger verrichten mussten – zu Essen gab es Mehlsuppe, Futterrüben und täglich 100 Gramm Brot.

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In Rudow wohnte auch Heinrich Stahl. Er war von 1933-1940 der Vorsitzende der Jüdischen Gemeinde zu Berlin. Stahl gründete im ersten Jahr seiner Amtszeit die „Jüdische Winterhilfe“. Nach Gründung der „Reichsvertretung der Deutschen Juden“ gehörte er ab September 1933 dem ersten Präsidialausschuss an. Nach Umwandlung der Organisation in die „Reichsvereinigung der Juden in Deutschland“ war er dort ab Juli 1939 Stellvertreter des Vorsitzenden Leo Baeck.  Am 11. Juni 1942 wurde er in das Ghetto Theresienstadt deportiert, wo er Anfang Oktober 1942 noch zum stellvertretenden Vorsitzenden im Ältestenrat unter dem „Judenältesten“ Jakob Edelstein ernannt wurde. Bald darauf, am 4. November 1942, starb Stahl im Ghetto Theresienstadt. Todesursache laut Totenschein: „Herzschwäche“ (nach Lungenentzündung). Eine Gedenktafel in Alt-Rudow 43 erinnert an Heinrich Stahl.

„Die Mitglieder der Initiative „Rudow empört sich“ haben mit der Fahrradtour ein lebendiges Bild von Rudow zur Nazizeit gezeichnet. Vieles von dem, was an den einzelnen Stationen vorgetragen wurde, war mir bekannt. Und doch gab es eine Reihe von Dingen, die mir bis  dahin nicht bekannt waren. Dafür ein großes Dankeschön!“, zieht unser stellvertretender Fraktionsvorsitzender Scharmberg sein Fazit.