Gedenken an die Novemberpogrome

Gedenken an die Novemberpogrome 1
In Gedenken und Solidarität: Hakan Demir MdB (mi.) und die Neuköllner Stadträtinnen Mirjam Blumenthal (3.v.re.) und Karin Korte (li.)

Wie notwendig es ist, immer wieder an die Verbrechen, an die Barbarei der Nazizeit zu erinnern, hat sich am 09. November 2021 gezeigt. Während 150 Menschen dem Aufruf des Neuköllner Kreisverband des DGB, der Neuköllner Falken und der Anwohner*inneninitiative Hufeisern gegen Rechts gefolgt waren, um in der Fritz-Reuter Allee 50 an das Pogrom von 1938 zu erinnern und Schlussfolgerungen für die Auseinandersetzung mit dem heutigen Antisemitismus zu ziehen, gab es erneut einen antisemitischen Angriff auf Bewohner der Hufeisenseidlung. Ein neonazistischer Täter hatte einige Straßenzüge entfernt in der Gielower Straße eine Hauswand mit einem Hakenkreuz beschmiert. Bereits zwei Wochen zuvor wurden die beiden Bewohner während ihrer auf Hebräisch geführten Unterhaltung durch die Gartenhecke mit Tränengas attackiert.
Der am kommenden Tag bekannt gewordene Angriff löste Entsetzen, aber auch Solidarität aus: Die Angriffe sind unerträglich. Geschichte darf nicht vergessen werden. Und wir müssen uns immer wieder daran erinnern. Die Demokratie muss weiter wachsam bleiben. Den betroffenen Anwohnenden gilt unsere volle Solidarität. Ähnlich sieht das die Initivative Hufeisern gegen rechts. Deren Sprecher Jürgen Schulte forerte eine rasche Aufklärung der Taten sicherte den beiden angegriffenene Personen „unsere Solidarität“ und  „jede von ihnen gewünschte Unterstützung“ zu. 

In der Nacht von 09. auf den 10. November 1938 dringen Uniformierte SA-Schergen und Nichtuniformierte in das jüdische Konfektionsgeschäft von Carl Baum. Laut Augenzeugenberichten werfen sie mit Steinen und schlagen die Scheiben ein. Sie wollen durch das Geschäft zur Wohnung der Baums zu gelangen. Carl Baum sieht weinend alles mit an und bittet die Angreifer: „Bitte, bitte, lasst doch alles ganz“. Frau Baum stellte sich den Angreifern entgegen und wird von ihnen mit Holzlatten so stark malträtiert, so dass sie noch in der Nacht ins Krankenhaus eingeliefert wird.

Gedenken an die Novemberpogrome 2

So wie den Baums erging es in dieser Nacht und in der Zeit vom 07. -13. November vielen jüdischen Bürgern in Deutschland, in Österreich und der Tschechoslowakei. Viele überlebten die so genannten Novemberpogrome nicht: Synagogen brannten, Hunderte Juden wurden ermordet, einige Hundert wählten aus tiefster Verzweiflung den Freitod, Tausende wurden misshandelt und verhaftet. Es war das Signal zum größten Völkermord in Europa von Staats wegen. Und all dies fand nicht im Geheimen statt, sondern auf offener Straße, vor den Augen aller: Antisemitismus, Rassismus und Mord prägten fortan das Alltagsleben, so dass viele jüdische Bürger auswanderten. So auch die Brauns. Sie zogen 1938 nach Argentinien zu ihren Kindern. Für den Schaden an ihrem Geschäft und der Wohnung, der sich auf 70.000 Mark im Laden und 15.000 Mark in der Wohnung belief, gab es erst nach dem Krieg, verbunden mit einem sehr hohen bürokratischen Aufwand, eine Minimalentschädigung.

Nach dem Gedenken in der Fritz-Reuter Allee wurde in der Fritz-Karsen-Schule der Stummfilm „Die Stadt ohne Juden” gezeigt. Der 1924 entstandene Film schildert die Vertreibung der Juden aus einem fiktiven Land. Als Sündenböcke sollten sie für die wirtschaftliche Krise herhalten, um die rebellierenden Arbeiter zu beruhigen. Im Gegensatz zur späteren grausamen Realität, endet der Film jedoch mit der Rückkehr der jüdischen Bevölkerung. Das Land hat den mit der Ausweisung verbundenen wirtschaftlichen, kulturellen und menschlichen Verlust nicht mehr ertragen und das Gesetz über die Verbannung der jüdischen Bürgerinnen und Bürger aufgehoben.
In der anschließenden Podiumsdiskussion stellten zwei Mitglieder der Falken, eine Lehrerin der Fritz-Karsen-Schule sowie ein gewerkschaftlicher Bildungsreferent Überlegungen an, wie Jugendarbeit in verschiedenen gesellschaftlichen Bereichen antisemitische Vorfälle und Denkmuster erlebt, verarbeitet und wie man ihr offensiv begegnen kann.

Gedenken an die Novemberpogrome 3